Dieses Jahr ist in öffentlichen Diskursen rund um die Entwicklung von KI immer wieder die Rede vom Jahr der agentic AI und Robotik ist dabei ein wesentlicher Schwerpunkt. Humanoide Roboter machen Saltos, legen Wäsche zusammen, interagieren mit Menschen, verarbeiten Emotionen über verschiedene Modalitäten und passen ihre Handlungen an. Vierbeinige Roboter laufen durch Fabriken und führen Wartungen durch, holen Stöckchen und bewegen sich über unebenes Terrain. Generell erleben wir ein erhöhtes Aufkommen von mit vielfältiger Sensorik ausgestatteten Maschinen, die ihre Umgebung auf bislang unvorstellbare Weise vermeintlich intelligent wahrnehmen, zahlreiche parallele Datenströme verarbeiten und in der Welt (zunehmend eigenständig) handeln. Diese Technologien bewegen sich immer mehr in das Sichtfeld der Öffentlichkeit und werden schon bald eine noch stärkere (mit)gestaltende Rolle in Beruf und Alltag einnehmen.
Seit vielen Jahren verfolge ich gespannt das Unternehmen Boston Dynamics, welches mit seinen Projekten im Bereich Robotik immer wieder beeindruckende Ergebnisse hervorbringt. Kritisch hervorzuheben sind allerdings die militärischen Hintergründe der Finanzierung dieser Projekte! Auf YouTube ist Boston Dynamics schon seit über 15 Jahren berüchtigt dafür, innovative Technologien vorzustellen, die nicht selten starke emotionale Reaktionen bei uns Menschen hervorrufen. Angefangen hat alles mit vierbeinigen Robotern (z. B. BigDog und später Spot), die durch ihre Erscheinung an vierbeinige Tiere, wie Hunde oder andere größere Vierbeiner, erinnern. Die Tests, die mit diesen Robotern durchgeführt werden, lösen nicht selten ein unwohles Gefühl in uns aus. Diese Maschinen bewegen sich zunehmend natürlich, anpassungsfähig und vermeintlich intelligent, was in unserer menschlichen Wahrnehmung gerne mit biologischen Lebewesen assoziiert wird. Es ist, als ob ihre materielle Präsenz und ihr Verhalten eine eigene Form von Lebendigkeit beanspruchen, die uns unmittelbar berührt und herausfordert. Man könnte sagen, dass uns die menschliche Wahrnehmung hier einen Streich spielt (?) und nicht selten ordnen wir diese Phänomene mit den Begriffen der Anthropomorphisierung oder Zoomorphisierung ein. Gleichzeitig verbinden wir mit vielen dieser Entwicklungen das Konzept des uncanny valley, also einem gewissen Unbehagen, das wir erfahren, wenn sich diese Maschinen immer natürlicher, aber noch nicht ganz authentisch bewegen. Diese Phänomene zeigen uns unmittelbar und spürbar, welche Resonanzen die Eigenleben dieser Maschinen in uns bewirken.
Der sogenannte „Petman“, als erstes Projekt humanoider Robotik bei Boston Dynamics, welches das Unternehmen mit der Öffentlichkeit geteilt hat, hat bereits im Jahr 2011 starke (eher beunruhigte) Reaktionen in Online-Communities ausgelöst. Ein weiters Video zu diesem Projekt wurde im Jahr 2013 veröffentlicht:
Seitdem hat sich viel getan; Entwicklungen in den Bereichen des Deep Learning, Reinforcement Learning, Computer Vision (und Co.) und Fortschritte im Bereich der Daten und Methoden, die für das Training von KI-Modellen im Kontext Robotik verwendet werden, haben jüngst viele Innovationen vorangetrieben.
Neben Boston Dynamics gibt es selbstverständlich eine Vielzahl weiterer Unternehmen, die sich im Feld der KI-getriebenen Robotik und insbesondere im Bereich der humanoiden Robotik spezialisieren. Zahlreiche Futuristen und Führungskräfte in KI-Unternehmen antizipieren schon seit Längerem, dass die Branche der consumer robotics mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit größer werden könnte als es bspw. die Automobilindustrie gegenwärtig ist.
Bis hierhin soll es allerdings mit den Beispielen reichen und ich möchte gerne ein paar Gedanken teilen, die mich in diesen Kontexten beschäftigen. Anfangen möchte ich mit einer Reihe an Fragen, die man sich unter Umständen stellt:
- In welchen Bereichen unseres Lebens können wir damit rechnen, dass diese Technologie Einzug halten wird?
- Welche Aspekte von Beruf und Alltag werden hier unmittelbar mit existenziellen Fragen verknüpft und Sorgen darum, dass uns diese Technologie ersetzen könnte?
- Wie lange wird es wohl noch dauern, bis diese Technologie für einen großen Teil der Bevölkerung zugänglich und vor allem finanziell erschwinglich wird?
- Wird es Open Source Lösungen in diesen Bereichen geben, die es erlauben, dass sich Menschen unabhängig machen können?
- Wie geht man insbesondere im europäischen Raum (Stichwort DSGVO und EU AI Act) mit Datenschutz und dem ethisch verantwortbaren Einsatz um?
- Wie steht es daran anknüpfend um den Einsatz solcher Technologien in militärischen Kontexten?
- Was können wir für emergente Effekte erwarten, wenn KI zunehmend in der physischen Welt verortet ist und vermehrt Modelle trainiert werden, die mit immer mehr Daten aus diesen Kontexten lernen?
- Warum entwickeln wir Maschinen, die uns Menschen nachempfunden sind?
- Und zum Schluss eine grundlegende Frage, die sich in diesen Kontexten stellt:
Was ist noch das Alleinstellungsmerkmal des Menschen, wenn KI immer mehr Aspekte unseres Menschseins vermeintlich imitieren und automatisieren kann?
Ich habe auf keinen Fall vor, diese Fragen zu beantworten und das halte ich sowieso für unmöglich. Aber diese Fragen können uns dazu führen, uns mit wichtigen (durchaus spekulativen) Gedanken zu befassen, die uns in den kommenden Jahrzehnten immer stärker beschäftigen werden.
Zunächst sollten wir damit rechnen, dass viele Bereiche in Alltag und Beruf von diesen Entwicklungen betroffen sein werden. Die Vorstellungen von mit Robotern gefüllten Fabriken oder robotischen Haushaltshilfen, die auch in sozialen Kontexten gesetzt werden, wie wir sie bspw. zu Genüge in Science-Fiction-Szenarien gesehen haben, erscheinen nun nicht mehr ganz so unrealistisch und auch nicht allzu weit entfernt. Innerhalb der nächsten Jahre und Jahrzehnte ist es durchaus realistisch, dass wir viele solcher Entwicklungen erleben werden. Große Tech-Unternehmen werden sich in dieser Branche einen Namen machen wollen und vielfältige Lösungen entwickeln.
Überraschung: Sie sind schon seit vielen Jahrzehnten drauf und dran diese Ziele zu erreichen. Insbesondere diese, die den ersten Schritt wagen und die Ersten sind, die enorme Mengen an Daten aus der praktischen Nutzung generieren, könnten sich eine besondere Machtstellung sichern. Hier können wir nur hoffen, dass es freie Lösungen geben wird, die es den Menschen erlauben, von den Vorteilen dieser Technologien zu profitieren, ohne sich abhängig machen zu müssen und bspw. sensible Daten aus dem Alltag zu teilen. Jüngst (April 2025) haben sich im Kontext von Huggingface einige Entwicklungen im Bereich Open-Source-Robotics angedeutet. Ähnlich wie persönliche Heimassistenten werden derartige Roboter in die Lage versetzt, sehr eng in unser Leben integriert zu sein und dementsprechend potenziell viele überaus sensible Daten erheben.
Ich kann es persönlich kaum erwarten, selbst im Rahmen von Maker-Projekten erste Erfahrungen mit KI im Kontext von Robotik zu sammeln und selbst zu erfahren, welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben und insbesondere welche Lern- und Bildungsanlässe damit verbunden sein werden.
Eine sehr zentrale Frage, die ich an dieser Stelle gerne explizit aufgreifen möchte, ist, warum es ausgerechnet die humanoide Form ist. Eine berechtigte Frage, aber ich denke man kann mindestens drei Argumente finden, warum wir diese Entwicklung beobachten:
- Erstens erscheint es (etwa in psychologischer Hinsicht) authentischer und zugänglicher, wenn diese Maschinen, die sich zunehmend menschlichen Fähigkeiten annähern, ebenfalls eine menschenähnliche Form haben.
- Zweitens ist unsere Welt für Menschen designt. Die Objekte, mit denen wir in Beruf und Alltag agieren, die Räume, durch die wir uns bewegen, sind für Menschen gemacht und humanoide Roboter könnten mit diesen ebenso interagieren wie wir. Ebenso gestalten Technologien unsere Welt um und wir erleben eine zunehmende Wechselwirkung im Design.
- Drittens werden die Unternehmen, die diese Technologie entwickeln, in die Lage versetzt, Unmengen an Daten zu sammeln, die sehr nah an der Art und Weise orientiert sind, wie wir Menschen uns durch die Welt bewegen und wie wir diese wahrnehmen. Es ist also kein Zufall, dass viele dieser Lösungen menschenähnliche Hände und Beine haben und über Sensorik verfügen, die am Kopf platziert ist. Dadurch wird ein Wettbewerb der Datensammlung angetrieben, der menschenähnliche Interaktionsweisen betrifft. Diesen Sachverhalt ordne ich gerne im Kontext der Annäherung durch KI-Modelle ein, den ich in meinem ersten Blogpost thematisiert habe (Funktionen beschreiben die Welt?). Mit unseren Daten formen wir grundsätzlich KI und KI formt wiederum uns und die Daten, die wir produzieren, usw.
Spannend ist hier weiterführend der Sachverhalt, dass diese KI-Modelle oftmals millionenfach Szenarien in Computersimulationen erproben und das Gelernte dann auf die physische Welt übertragen. Ein frühes Beispiel hierfür ist das Projekt von OpenAI aus dem Jahr 2019, in welchem eine Roboterhand gelernt hat, einen Zauberwürfel (Rubik’s Cube) zu lösen. Darüber hinaus ermöglicht generative KI die Generierung derartiger Szenarien in großer Zahl, wenngleich die gegenwärtige geringe Qualität dieser einen Transfer eher problematisch macht bzw. verunmöglicht (Beispiel: NVIDIA Expands Omniverse With Generative Physical AI).
All diese Entwicklungen führen uns unter Umständen immer wieder zu dieser letzten Frage, die ich aufgeführt habe: Was ist noch das Alleinstellungsmerkmal des Menschen, wenn KI immer mehr Aspekte unseres Menschseins vermeintlich imitieren und automatisieren kann? Im Kontext von Bildung treibt uns die dieser Frage zugrundeliegende allgemeine Frage – Was ist der Mensch? – vermeintlich schon immer um und wir können diese auch nicht beantworten. Die Entwicklungstendenzen im Bereich humanoider Robotik bringen uns dazu, über die Grenzen der Menschlichkeit nachzudenken, wo wir uns in einer zunehmend technologisierten Welt überhaupt noch als Menschen verorten können, etc. Wir werden angehalten, solche Grenzen ganz grundlegend in Frage zu stellen, was uns dazu führen kann, die Verschränkung des Menschen mit Technologie (und dem Menschsein an sich) besonders zu fokussieren.
Wir stehen in diesem Feld gerade am Anfang und können nur spekulieren, wie es sich weiter entwickelt und welche vielfältigen Implikationen damit verbunden sind. Dieser Blogpost spiegelt genau diese spekulative Zukunftsbewertung der KI wider. Aber wohin soll es führen, wenn wir nicht zunehmend über diese Fragen nachdenken, Modelle der Zukunft zu skizzieren und eine Reflexion darüber anregen. Letztendlich müssen wir vielleicht ein stückweit anerkennen, dass wir viele Aspekte dieser Technologien – und so bspw. die Hochdimensionalität künstlicher neuronaler Netze und die undurchschaubaren Strukturen und Muster, die sich in ihnen ausbilden – schlichtweg nicht vollkommen begreifen können. Wir sollten darüber reden, Gedanken miteinander teilen, Fragen stellen, wertebasierte Diskussionen führen und versuchen, diese Zukunft proaktiv mitzugestalten!